Kurzbeschreibung
Es ist eine Frage, die Till Brönner durch seine Karriere begleitet: Wie interpretiert er den modernen Jazz? Was ist ihm musikalisch wichtig, am Ende des Tages? Bevor er auf sein neues Album zu sprechen kommt, erzĂ€hlt er von einem Konzert auf dem Leipziger Mediencampus im April 2010: Ein Duett mit dem Perkussionisten GĂŒnther Baby Sommer. Ein pures Schlagzeug-Trompeten-Treffen als Soundclash der Jazz-Spezialisten. In der langen Geschichte des Jazz kann man immerhin auf internationale GröĂen wie Max Roach und Dizzy Gillespie oder Don Cherry mit Ed Blackwell verweisen, um Referenzbeispiele zu nennen. Geboren wurde diese Session im Rahmen der StabĂŒbergabe der Professur an der Dresdener Hochschule fĂŒr Musik von Sommer an Brönner. Ein Freestyle-Set, das zu seinem VerstĂ€ndnis von Vielseitigkeit gehört.
Till Brönner schĂ€tzt den weiten Horizont, mit dem er, der hochdekorierte Jazzer durch die Welt der Musik streift. Er treibt das experimentelle Spiel auf seinem hometurf genauso voran wie er sich intensiv mit anderen Genres beschĂ€ftigt. Ein wichtiger Aspekt fĂŒr das neue Album At The End Of The Day, das Songs aus fĂŒnf Jahrzehnten Popgeschichte interpretiert. Pop, nicht Jazz! Und das zudem einen Ausflug zu Johann Sebastian Bach unternimmt. Er ahnt bereits, dass bei seinen Arrangements von den Beatles ĂŒber Bowie bis hin zu den US-Rockern The Killers grundsĂ€tzliche Fragen auftauchen werden. Etwa: Warum macht der das? Oder auch: Darf der das ĂŒberhaupt, so als vielfach ausgezeichneter Trompeter, der im Laufe seiner 25jĂ€hrigen Karriere vier Echos und eine Grammy-Nominierung erhielt, dessen TontrĂ€ger in der ganzen Welt schon mehr als eine Millionen mal verkauft wurden und der mit den GröĂten der Jazz- und Popwelt gearbeitet hat? Grundsatzfragen, die ihn ein wenig nerven. âIch stelle mich kontinuierlich diesen Jazz-Welten. Und dort entstehen dann neue, andere Sachen. Ob man diese allerdings auf einem Album veröffentlichen muss, steht auf einem anderen Blatt.â Till Brönner hat sich seit lĂ€ngerem dafĂŒr entschieden, seine eigenen MaĂstĂ€be zu setzen.
Nach Oceana (2006) und der Bossa-Nova-Hommage Rio (2008) stöbert er 2010 in einer universalen Pop-Bibliothek: âWir haben das `Rio`-Programm ausgedehnt auf Konzerten in der ganzen Welt gespielt, ohne genau zu wissen, wohin die nĂ€chste Reise fĂŒhren wird. Gleichzeitig habe ich die Begegnungen mit anderen KĂŒnstlern intensiviert. Daraus ist eine Sammlung entstanden, die kunterbunter nicht hĂ€tte sein können. Faszinations-FundstĂŒcke aus meinem Leben, die ich letztlich danach ausgewĂ€hlt habe, welche Möglichkeiten sie mir fĂŒr den eigenen Ausdruck bieten.â Brönner fiel die Wahl der 12 besten aus den etwa 30 Referenzsongs relativ leicht. âWĂ€hrend der Produktion haben wir die `Temperatur` fĂŒr meine Stimme flieĂend erarbeitet. Letztlich konnte ich dann auf At The End Of The Day in Personalunion â als Trompeter und SĂ€nger – agieren.â
Brönner bekrĂ€ftigt, dass er auf musikhistorische ZusammenhĂ€nge verzichtet hat. âSpace Oddityâ von Bowie steht genauso als eigenstĂ€ndiges Statement, wie es keine inhaltliche BrĂŒcke zwischen âHumanâ von The Killers und âHumanâ der britischen New-Wave-Band Human League gibt. Seine Trompete fĂŒhrt âAirâ aus der 3. Orchestersuite von Johann Sebastian Bach in andere SphĂ€ren, genauso wie alle anderen Titel von seinem unverkennbarem Trompetenspiel leben. Brönners neues Album ist purer, ganz persönlicher Eklektizismus. Er durchkreuzt freischwebend ein Pop-Universum, bei dem die Beatles der frĂŒhen Sechziger auf das amerikanische 70er-Duo Seals & Croft (âSummer Breezeâ) treffen.
Die Aufnahmen entstanden â nach voran gegangenen AuswĂ€rts-Produktionen in Brasilien und Los Angeles â diesmal im heimischen Berlin: âWir haben uns bewusst mit einer kompletten Live-Band fĂŒr 2 Wochen ins Planet Roc-Studio zurĂŒckgezogen. Dort im alten DDR-Funkhaus gibt es groĂe, hohe RĂ€ume, in denen die alten, analogen Instrumente optimal zur Geltung kommen konnten. Dort haben wir alle Songs zusammen Live eingespielt. Diese organische Stimmung beim Aufnahmeprozess war mir sehr wichtig. Im Anschluss habe ich mit langjĂ€hrigen musikalischen Freunden von mir auf der ganzen Welt an den Titeln weiter gearbeitet. FĂŒr die Streicher-Recordings sind wir z.B. in Los Angeles ins legendĂ€re Capitol Studio gegangen, die HolzblĂ€ser wurden in Stockholm aufgenommen.â
Hinter den Reglern saĂ erstmals der Produzent Andreas Herbig, der bislang ganz unterschiedliche Projekte mit Udo Lindenberg, A-Ha oder Ich + Ich betreut hat. Ein inspirierender Arbeitsprozess, bei dem es nicht darum gehen sollte, den Arrangements einen bestimmten (Pop-)Sound zu verordnen. âSo lĂ€uft das ja nicht!â, sagt Brönner. âAndreas Herbig und Henrik Menzel haben die Rohstoffe, die wir ihnen angeboten haben, eher gehegt und gepflegt. Ich habe in den letzten Jahren schlieĂlich selbst öfters in der Produzentenrolle gestanden und sie wiederum sind auch Musiker. Insofern sind keine unterschiedlichen Welten aufeinandergeknallt, sondern es kam genau zu diesem inspirierenden Austauschprozess, den ich mir vorgestellt hatte.â
Till Brönner betrachtet die Geschichte des Pop auf seine eigene Art. Wenn man ihn danach fragt, diskutiert er mit Freude ĂŒber die kĂŒnstlerischen Strategien von Lady Gaga und Amy Winehouse oder den Minimalismus von Techno. Doch mit seiner Musik zielt er in eine andere Richtung. Trends oder Strömungen des Undergrounds ĂŒberlĂ€sst er anderen – und widmet sich einem Herzensthema: Der Zeitlosigkeit.
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Der 1971 in Viersen geborene Trompeter war schon immer ein musikalischer GrenzgĂ€nger. Diesem Ruf wird er auch auf At The End Of The Day wieder mehr als gerecht. Zwei Jahre nach Rio, dem letzten Album, seiner gelungenen Hommage an den Bossa Nova, widmet er sich diesmal mit ganzer Kraft dem Pop. Und seine Definition schlieĂt, neben zeitlosen Songs aus den letzten fĂŒnf Jahrzehnten, durchaus auch Johann Sebastian Bachs Komposition “Air” aus der 3. Orchestersuite mit ein. Er ist und bleibt auch eben auch auf dieser Platte ein begnadeter BrĂŒckenbauer, der mit Spielwitz und Ideen gegen lĂ€ngst ĂŒberkommene Stilgrenzen vorgeht. Das mag nicht jedem Jazz-Puristen gefallen, ist aber letztlich auch egal, denn Till Brönner gelingt es auch mit dieser Platte wieder, sich ganz neu zu erfinden und trotzdem seine bekannten Tugenden nicht ĂŒber Bord zu werfen. Auf At The End Of The Day arbeitete er erstmals mit dem Produzenten Andreas Herbig (Ich+Ich, a-ha, Udo Lindenberg) zusammen. Gemeinsam mit einer versierten Liveband spielte Brönner in den Berliner Planet Roc Studios sein bisher wohl zugĂ€nglichstes Album ein. Wer deshalb hier gleich mangelnden Tiefgang vermutet, der liegt komplett falsch. Der Trompeter und SĂ€nger prĂ€sentiert sich in StĂŒcken wie “Summer Breeze”, im Original von Seels & Croft, oder David Bowie’s “Space Oddity” in bestechender Form. Man hört den Aufnahmen den SpaĂ, den alle Beteiligten daran hatten, förmlich an. Besonders gelungen sind neben dem samtweich dahingleitenden “We Said It All” vor allem seine beschwingte Version des Titels “Human” von The Killers. –Franz Stengel